Vor zwei Monaten stand ich vor einer großen Entscheidung, aber mit meinem Gefühl stimmte etwas nicht: Ich war unsicher, meine Intuition versagte. Im Urlaub, mit etwas Abstand und viel Zeit, war es dann ganz einfach. Erstaunlich, dass man sich erst noch in einem grundlegenden Selbstfindungsprozess verwickelt meint und sich dann - von einem Moment zum nächsten - alles wie von Zauberhand sortiert. Dass manchmal plötzlich alles anders ist mit unserem Identitätsgefühl fand sich auch in einer Studie von Brent Roberts und Kollegen, die überraschenderweise zeigte, dass sich die Persönlichkeit sprunghaft entwickeln kann.


Vor zwei Monaten stand ich vor einer großen Entscheidung, ich war auf Wohnungssuche. An der Wohnung mangelte es nicht, ich hatte eine wirklich gute gefunden: zentrumsnah und im Grünen; gut angebunden und dennoch ruhig; im 5. Stock mit Blick auf Baumwipfel und mit Fahrstuhl. Nur mit meinem Gefühl stimmte etwas nicht: Ich war unsicher, meine Intuition versagte. Schließlich, so kam es mir vor, ist ein Wohnungskauf gleichzeitig eine Entscheidung für eine Zukunft, die man noch nicht kennt und somit auch eine Entscheidung gegen ungeahnte Lebenswege.

Ich bin dann in die USA geflogen und habe einige Tage auf einem Road Trip entlang der kalifornischen Küste verbracht. Es war wunderschön, perfektes Wetter, atemberaubende Natur, beeindruckende Städte und vor allem viel Zeit (die ich sonst nie habe). Und plötzlich war alles klar, ich war mir sicher, so absolut sicher, dass ich nach meiner Rückkehr direkt die Wohnung gekauft habe. Ist das nicht erstaunlich? Dass man sich erst noch in einen grundlegenden Selbstfindungsprozess verwickelt meint und sich dann – von einem Moment zum nächsten – alles wie von Zauberhand sortiert?

Dieses Gefühl des Sortiertseins, oder besser des Festlegens, wird in der Persönlichkeitsforschung häufig mit Commitment beschrieben. Man sucht nicht mehr nach Alternativen, man hat sein persönliches Optimum gefunden. Oft geht man davon aus, dass dieser Abwägungsprozess ein mehrjähriges Unterfangen ist. So lang brauche das Gefühl, um sich tatsächlich festzulegen. Im Großen mag das stimmen, und doch ist dies nicht die erste Lebensentscheidung, die mich auf einmal restlos von sich überzeugt.

Dass manchmal plötzlich alles anders ist mit unserem Identitätsgefühl, entspringt nicht nur meiner persönlichen, zugegebenermaßen überschaubaren anekdotischen Evidenz, sie fand sich auch in einer Studie von Brent Roberts. Zusammen mit Kollegen deckte er auf, dass sich die Persönlichkeit durch Interventionen – beispielsweise Trainings oder Therapien – verändern kann. Überraschend daran war, dass schon kurze Interventionen über acht Wochen hinweg einen Einfluss auf die Persönlichkeit hatten und sich ihr Effekt selbst über viele Monate hinweg hielt.

Mindestens zwei Dinge sind daran bemerkenswert: (1) Es ist große Vorsicht geboten, die Persönlichkeit von Menschen zu ändern. Man stelle sich nur vor, dass dies ein Vorläufer für eine Zukunft sei, in der es nur noch eine Persönlichkeit gibt, was – egal welche Persönlichkeit das wäre – einen riesigen Verlust an Vielfalt und individueller Besonderheit darstellen würde. Und (2), zum eigentlichen Thema dieses Textes, zeigt es, dass sich die Persönlichkeit sprunghaft entwickeln kann.

Bisher dachten wir, Veränderungen in der Persönlichkeit seien das Resultat vieler kleiner Schritte. Erst würden neue Verhaltensweisen ausprobiert, die sich dann in veränderten Verhaltensgewohnheiten und schließlich in der Persönlichkeit niederschlagen. Dabei kann es ganz schnell gehen. Das heißt: Was heute ist, war gestern vielleicht anders und muss morgen nicht mehr so sein. Für unsere Entscheidungsfreude ist das eine ebenso einschüchternde wie ermutigende Nachricht: Es nützt nichts, die Zukunft abzuwarten, denn wir und unser Umfeld können uns sprunghaft verändern. Insofern können wir uns auch festlegen, im Hier und Jetzt, und wenn es sich später richtig anfühlt, dann können wir uns die Freiheit erlauben, der Entscheidungsfreude auf einen neuen Lebensweg zu folgen.

Zum Weiterlesen

  • Anna Lichtwarck-Aschoff, Paul van Geert, Harke Bosma & Saskia Kunnen (2008). Time and identity: A framework for research and theory formation. Developmental Review, 28, S. 370-400.
  • Brent Roberts & Joshua J. Jackson (2008). Sociogenomic personality psychology. Journal of Personality, 76, S. 1523-1544.
  • Brent W. Roberts, Jing Luo, Daniel A. Briley, Philip I. Chow, Rong Su & Patrick L. Hill (2017). A systematic review of personality trait change through intervention. Psychological Bulletin, 143, S. 117-141.

Dieser Text wurde zuerst im Psychologie Heute-Blog veröffentlicht. Er ist Teil der Reihe “Der psychologische Blick”, in der zwischen Juli 2014 und Dezember 2017 vier bis sechs Kolumnist:innen - und ich war eine davon - über aktuelle Themen aus Alltag, Gesellschaft und Wissenschaft schrieben.