über größe und zeitpunkt des flaschenhalses.
plädoyer für frühe karriereentscheidungen in der wissenschaft.
Dass Qualitätssicherung an Universitäten eine Form der Auswahl benötigt, ist unumstritten. An diese Ausgangsposition schließt sich die zentrale Frage an, wie und wann genau diese im Wissenschaftssystem stattfinden soll.
Karl Ulrich Mayer verweist in seinem Text zu Recht auf die Problematik der stark gestiegenen Bedeutung der Drittmittelfinanzierung, die viele zeitlich befristete Mittelbau-Stellen geschaffen und damit eine große Zahl an weit über die Promotion hinaus finanzierte Wissenschaftler/innen hervorgebracht hat, welche gleichwohl keine Aussicht auf eine dauerhafte Beschäftigung haben. In diesem Zusammenhang stellt Mayer dar, dass sich kaum genaue Zahlen für diesen sogenannten „Flaschenhals“ finden lassen. So interessant es wäre, die tatsächliche Größe dieses Flaschenhalses zu kennen, vor allem aufgefächert nach Disziplinen, möchten wir zwei strukturelle Fragen aufgreifen: (1) Wie groß soll, muss und darf der Flaschenhals eigentlich sein und (2) wann, d.h. an welcher Stelle der wissenschaftlichen Laufbahn und der persönlichen Biographie, soll der Flaschenhals einsetzen? Unter Abwägung einiger spezifischer Vor- und Nachteile der verschiedenen Konstellationen schließen wir uns Mayer mit einem Plädoyer für einen früheren Zeitpunkt des Flaschenhalses an.
1. Wie groß soll, muss und darf der Flaschenhals sein?
Die Grundidee, die Berufung an eine Universität an wissenschaftliche Leistungen zu koppeln, ist richtig und zur Qualitätssicherung ebenso unumgänglich wie die daraus folgende Tatsache, dass nicht alle Personen, die eine Professur anstreben, diese auch bekommen. So muss die Gruppe der Aspirant/innen groß genug sein, um den Fakultäten eine Auswahl aus den besten Köpfen zu ermöglichen. Dies bedeutet aber auch, dass die Karrierewege insgesamt attraktiv genug sein müssen, um eben auch jene im System halten zu können und um sie nicht wegen attraktiverer Beschäftigungsbedingungen an das Ausland oder an die Wirtschaft zu verlieren. Gesamtgesellschaftlich muss aber auch abgewogen werden, wie groß die Gruppe der – allein die Schwierigkeit der Wortwahl zeigt den Grad der Phänomenverdrängung – „Aus- oder besser Umsteiger/innen“ sein sollte, die ein solches System notwendigerweise produziert.
Dies gilt aus sozialer Verantwortung heraus, also in Hinblick auf die einzelnen Individuen und ihre Biographien. Hinzu kommen wirtschaftliche Aspekte: So muss überlegt werden, ob dem ‘Gewinn’ der Leistungen in Forschung, Lehre, Transfer und Verwaltung von relativ niedrig bezahlten Personen auf befristeten Stellen nicht auch ein ‘Verlust’ gegenübersteht. Zu denken ist beispielsweise an Fördergelder, die in viel mehr Personen investiert werden, als später im Wissenschaftssystem verbleiben können, anstatt gezielt die Personen zu fördern, die der Wissenschaft erhalten bleiben. Weiter betrifft es die Wissenschaftler/innen, die nach Einarbeitung in spezialisierte Themen nicht in der Wissenschaft bleiben können, aber durch ihre Expertise auch keine geeigneten Qualifikationen für den Arbeitsmarkt erworben haben.
Dieser letzte Punkt verschärft sich mit der Dauer des Verbleibs im System, denn – bei allen entscheidenden Unterschieden zwischen den Fächern – werden die Exit-Optionen proportional zum Verbleib im Wissenschaftssystem immer schlechter. Auf die hier beschriebenen Spannungslagen gibt es keine klare Antwort, nur den Hinweis, dass die Größe eines Flaschenhalses keine rein wissenschaftspolitische (oder wissenschaftliche), sondern eine gesamtgesellschaftliche Frage ist, die gleichwohl die Attraktivität der Universitäten als Karriereoption direkt berührt.
2. Wann soll der Flaschenhals einsetzen?
Ein von der Größe des Flaschenhalses zunächst zu differenzierender Aspekt liegt in der Frage, zu welchem Zeitpunkt in der Karriere und damit der persönlichen Biographie dieser einsetzen soll. Sofort wird deutlich, dass diese Frage sachlich mit den bereits genannten Aspekten untrennbar zusammenhängt und dass dieser Aspekt die diskutierten Konsequenzen ver- bzw. entschärfen kann. Je später der Flaschenhals ansetzt, umso höher ist auf Seiten der Universitäten die Sicherheit, eine „richtige“ Auswahl treffen zu können, da auf Basis vielfältiger bereits gezeigter wissenschaftlicher Leistungen der Kandidat/innen entschieden werden kann. Umgekehrt geht eine spätere Entscheidung mit den oben genannten Kosten für den wissenschaftlichen Fortschritt und die persönliche Biographie einher, wozu beispielsweise höhere Kosten für den Umstieg in andere Berufsfelder ebenso wie Ortswahl, Dual-Career-Partnerschaft und Familiengründung gehören. Die Planbarkeit des Privatlebens ist aber kein ausschließlich privates Problem, sondern beeinflusst maßgeblich die Attraktivität der universitären Karriere. Nicht umsonst liegt, könnte man zuspitzen, das Durchschnittsalter für die erste Professur „schon“ bei 41,5 Jahren; man könnte sich ja auch an eine Entfristung erst Mitte 50 vorstellen, um Produktivität immer länger überprüfbar zu halten. Allein – Produktivität ist nicht gleich Kreativität und wissenschaftlicher Fortschritt, große Entdeckungen und bahnbrechende Gedanken bedürfen unserer Auffassung nach insgesamt weniger Kontrolle als vielmehr auch Vertrauen.
Damit sind wir zurück bei der Frage, ab wann sich dieses Vertrauen in Form einer festen Stelle materialisieren soll. Hier gilt: Je früher der Flaschenhals greift, umso gezielter werden Forschungsgelder in Personen investiert, die der Wissenschaft langfristig erhalten bleiben. Umgekehrt lassen sich so auch für die Gruppe der „Aus- und Umsteiger/innen“ erfolgreiche Karrierewege außerhalb der Wissenschaft beschreiten. Beides macht die wissenschaftliche Karriere für die einzelnen Wissenschaftler/innen individueller planbar und damit attraktiver. Sie vermindert auf der anderen Seite für die Institutionen das Risiko, die besten Köpfe auf dem Weg zur Professur zu verlieren. Abgewogen werden müssen diese Gewinne mit einem möglichen Verlust an Qualitätssicherung durch die bis zu dem Zeitpunkt geringere wissenschaftliche Leistung, anhand derer eine Prognose für die zukünftige weitere Leistungsfähigkeit erstellt wird.
3. Was ist zu tun?
Will man die Beschreibung der Situation mit einer wissenschaftspolitischen Forderung verknüpfen, so kann diese aus unserer Sicht nur in der Verschiebung des Flaschenhalses „nach unten“, also in eine frühere Karrierephase, bestehen. Das Ziel sollte sein, der nächsten Generation von Wissenschaftler/innen prinzipiell auch schon mit Anfang 30, beziehungsweise direkt im Anschluss an eine Promotion eine dauerhafte Perspektive in der Wissenschaft zu bieten. So würden sich die beschriebenen strukturellen Spannungslagen verbessern.
Es würde gezielt in eben jene investiert werden, die eine gute Aussicht haben, ihre Expertise und Forschungsarbeit langfristig in die Wissenschaft einzubringen. Und der Beruf ‚Wissenschaftler/in’ würde wieder eine attraktive Option für die individuelle Karriere sein. Auch wenn dies nur für die „Gewinner/innen“ gilt, wird doch genau damit die Universität auch wieder attraktiver für die „Besten“ ihrer Fächer, es zumindest zeitweise zu versuchen. Da die Universität schon nicht finanziell mit leitenden Positionen in der Wirtschaft konkurrieren kann, ist gerade der Aspekt einer höheren Planbarkeit der Karriere ein möglicher Vorteil in der Konkurrenz um die besten Köpfe.
Es bleibt die Schwierigkeit der Qualitätssicherung, wenn die Entscheidung für eine unbefristete Anstellung auf vergleichsweise wenigen Leistungsindikatoren fußt. Allerdings, ‚Fehlbesetzungen’ sind immer möglich, so auch bei später(er) Entscheidung. Die Frage kann also nur lauten, um wieviel schlechter man die Qualität von Forschung und Lehre, Transfer und Management einschätzen kann, wenn man diese im Schnitt schon Anfang 30 beziehungsweise direkt im Anschluss an die Promotion, und nicht erst Anfang 40, wie momentan üblich, bewertet. Zahlreiche Faktoren, die erfolgreiche Wissenschaftler/innen auszeichnen, d.h. Intelligenz und Kreativität, Neugier und Arbeitseifer, sind über die Jahre sehr stabil und daher schon frühzeitig erkennbar. Um dies zu belegen, benötigt man nicht zwingend lange Publikationslisten, mehrere umfangreiche Monographien oder Millionen eingeworbener Drittmittel. Und selbst eine schlechtere Leistungsprognostik durch eine frühere Entscheidung würde, so denken wir, durch den Gewinn derjenigen ausgeglichen werden, die sich ansonsten vom Wissenschaftssystem abgewendet hätten. Weiter gehen wir davon aus, dass das frühzeitige Vertrauen eine höhere institutionelle Loyalität und Leistungsbereitschaft anregen kann. Schließlich zeigt ein Blick ins Ausland, wo der Flaschenhals bereits deutlich früher angelegt ist, dass feste Stellen zu einem früheren Zeitpunkt mitnichten die Leistung des Wissenschaftssystems beeinträchtigen, im Gegenteil.
Ein konkreter Vorschlag für das Ziel entweder einer frühzeitigen Dauerstelle oder zumindest einer Perspektive auf eine Dauerstelle soll die Gedanken abschließen. Denkbar wären (a) entweder ein Tenure-Track direkt im Anschluss an eine hervorragende Promotion oder (b) eine ca. dreijährige Postdoc-Phase – je nach Umständen auch länger oder kürzer –, danach aber eine Berufung auf eine unbefristete Stelle. Unabhängig von beiden Varianten, die ihrerseits Vor- und Nachteile haben, beide aber gleichermaßen nach der Promotion mit einer Berufung durch eine andere Universität operieren, müssen diese Stellen nicht gleich mit großer Ausstattung oder hohem Gehalt verbunden sein. Der entscheidende Punkt liegt in der Kombination von Planbarkeit einerseits mit anschließender Karrieremöglichkeit andererseits. Weitere Berufungen bleiben natürlich möglich, aber daneben soll auch der Weg von der ersten Dauerstelle bis hin zur W3-Professur auch ohne erneute Wegbewerbung auf Grund hervorragender Leistungen in Forschung, Lehre, Transfer und Selbstverwaltung vor Ort möglich sein. Auch spätere Erstberufungen bleiben so natürlich möglich, sollen aber die Ausnahme und nicht die Regel sein.
Diese neue Flexibilität im Wissenschaftssystem führte insgesamt nicht nur zu einer größeren Planungssicherheit für einzelne Wissenschaftler/innen, sondern damit auch zu einer höheren Attraktivität der wissenschaftlichen Karriere insgesamt. Unabhängig von konkreten Details scheint es uns daher geboten, dass nicht nur über „mehr Stellen“ geredet wird, sondern vor allem über „eher Stellen“.
Dieser Text ist ein Kommentar von Christoph Lundgreen und mir zu einem Text von Karl Ulrich Mayer mit dem Titel “Zur Lage junger Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler im deutschen Wissenschaftssystem”. Beide Texte wurden in einer Spezialausgabe der Zeitschrift Forschung: Politik - Strategie - Management veröffentlicht, die gemeinsam von Mitgliedern der interdisziplinären Arbeitsgruppe Exzellenzinitiative der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften und der Arbeitsgruppe Wissenschaftspolitik der Jungen Akademie gestaltet wurde. Auf Basis zahlreicher gemeinsamer Diskussionen sind Texte zur Finanzierung von Wissenschaft, der Governance im Hochschulsystem, der Exzellenz von Wissenschaft, zum wissenschaftlichen Nachwuchs und zur Familienfreundlichkeit der Hochschulen entstanden.
Kostenfreien Zugriff auf die vollständige Spezialausgabe inklusive aller Texte gibt es hier.