über die suche nach einem neuen zuhause.
aus dem psychologie heute-blog 'der psychologische blick'.
Wir sitzen im Klunkerkranich, einer Mischung aus Café, Club und Kleingartenanlage auf der höchsten Ebene eines Neuköllner Parkhauses und schauen über die Dächer Berlins. So viele Dächer, mit so vielen Wohnungen darunter, da muss doch eine Passende für mich dabei sein, denke ich. Die Wohnungssuche in Berlin gleicht allerdings, das ist kein Geheimnis, einer Odyssee. Und fördert in meinem Fall eine grundlegende Unsicherheit zutage.
Wir sitzen im Klunkerkranich, einer Mischung aus Café, Club und Kleingartenanlage auf der höchsten Ebene eines Neuköllner Parkhauses und schauen über die Dächer Berlins. So viele Dächer, mit so vielen Wohnungen darunter, da muss doch eine Passende für mich dabei sein, denke ich. Die Wohnungssuche in Berlin gleicht allerdings, das ist kein Geheimnis, einer Odyssee. Und fördert in meinem Fall eine grundlegende Unsicherheit zutage.
Multiple Wohnungsbesichtigungen liegen hinter mir, die oft so ablaufen, wie ich mir Blind Dates vorstelle: Man gibt sich gut gelaunt und nachsichtig (ein großer Brandfleck im Wohnzimmer? Kein Problem!), legt detaillierte Informationen zur familiären und finanziellen Situation auf den Tisch und verabschiedet sich mit dem Versprechen „Ich melde mich!“.
Dann vielleicht doch lieber kaufen statt mieten, denke ich. Die potentielle Lieblingswohnung wird allerdings mit den Worten beworben: „Gentrifizierung eines coolen Kiezes – das kann man eigentlich niemandem vorwerfen!“ Es scheint, als müsse man vor dem Wohnungskauf noch kurz den Idealismus überwinden. Davon abgesehen stimmt vieles daran. Und auch meine Klunkerkranich-Begleitung meint, die drei wichtigsten Merkmale einer guten Wohnung seien: Lage, Lage, Lage. Insofern alles passend.
Ich kann mich dennoch nicht zu einer Entscheidung durchringen und das ist ungewöhnlich, weil ich – wie die regelmäßigen Lesenden dieses Blogs wissen – eigentlich entscheidungsfreudig bin. Normalerweise sammle ich alle erdenklichen Informationen und lasse dann meine Intuition, mein informiertes Gefühl, entscheiden. Aber mit meinem Gefühl stimmt etwas nicht, es legt sich dieses Mal nicht fest.
Das eigentliche Problem bringt dann meine Tochter auf den Punkt, die feststellt, dass ich eine solche Wohnung bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag abbezahlen müsste, nämlich länger als ich bisher lebe. Das dürfte eigentlich kein Problem sein, schließlich lebe ich in einer Stadt, die ich liebe, habe hier einen unbefristeten Job, den ich liebe, was soll da schon passieren. Alles Mögliche kann passieren, warnt mein Gefühl, und malt sich ungeahnte Lebenswege aus.
In der Psychologie werden solche Unsicherheiten als ein Aspekt der Identitätsfindung beschrieben. Zwar entwickelt sich die Identität meist bereits im Laufe des jungen Erwachsenenalters, das ich mit meinem 30. Geburtstag bereits überschritten habe, aber in einer Welt der scheinbar unbegrenzten Möglichkeitenkommt dieser Selbstfindungsprozess immer später zum Erliegen, wenn überhaupt. Denn die Vielzahl an Möglichkeiten regt das Überdenken sozialer Rollen an, den Aspekt der sogenannten reconsideration, das Hinterfragen des Bestehenden und die Suche nach Alternativen. Erst, wenn im Detail ausprobiert und exploriert wurde, fühlen sich viele Menschen in der Lage sich festzulegen, sogenanntes commitment zu zeigen.
Ein stabiles Identitätsgefühl hilft Menschen dabei ihr Leben als einheitlich, zielgerichtet und sinnhaft zu erleben und ist das Resultat eines mehrjährigen Entwicklungsprozesses. Vielleicht möchte mir mein Gefühl mit seiner Unsicherheit also nahelegen, dass es sich noch im Explorationsmodus befindet. Vielleicht unterliege ich aber auch einfach dem Charme Berlins, das bisher immer wieder für glücksbringende Überraschungen gesorgt hat. Oder ich bin doch eher der Typ „Mieterin“. Wer weiß das schon. Ich bin gespannt, wie sich mein Gefühl entscheidet.
Zum Weiterlesen
- Elisabetta Crocetti, Monica Rubini und Wim Meeus (2008). Capturing the dynamics of identity formation in various ethnic groups: Development and validation of a three-dimensional model. Journal of Adolescence, Vol. 31, S. 207-222.
- Dan P. McAdams und Bradley D. Olson (2010). Personality development: Continuity and change over the life course. Annual Review of Psychology, Vol. 61, S. 517-542.
- Rita Zukauskiene (2016). Emerging adulthood in a European context. London/New York: Routledge.
Dieser Text wurde zuerst im Psychologie Heute-Blog veröffentlicht. Er ist Teil der Reihe “Der psychologische Blick”, in der zwischen Juli 2014 und Dezember 2017 vier bis sechs Kolumnist:innen - und ich war eine davon - über aktuelle Themen aus Alltag, Gesellschaft und Wissenschaft schrieben.