Früher elektrisierte die Vorfreude und motivierte zum emsigen Schaffen, heute rückt immer häufiger die melancholische Nostalgie an ihren Platz. Ist das ein Alterseffekt, der dazu verleitet den mittlerweile verpassten Gelegenheiten nachzutrauern? Oder sind wir lediglich Teil einer Generation Vintage, die sich in die vermeintlich bessere Vergangenheit zurückwünscht? Der Melancholie zum Trotz kann die Nostalgie ein positives Selbstbild und soziale Verbundenheit vermitteln, zumindest sofern wir unsere Vergangenheit nicht als unwiederbringlich verloren ansehen, sondern uns mit ihr für die Zukunft wappnen.


Früher habe ich davon geträumt, einmal in Italien zu leben. Ich wollte unbedingt einen Italiener heiraten und in einem abgeschiedenen Haus an einem Weinberg leben. Da säße ich dann tagsüber draußen an einem Holztisch mit Blick in die Ferne und schriebe Romane, während meine zahlreichen Kinder zwischen den Rebstöcken herumtollten. Es wäre jeden Tag Sommer und ich würde samstags mit einer roten Vespa am Wein entlang zum Gemüsemarkt fahren. Damals war ich so eingenommen von dieser kitschigen Idee, dass ich in emsiger Vorfreude damit begann, Italienischvokabeln zu lernen.

Es kam dann doch alles ganz anders und ich lebe heute eine andere Version meines Lebens. Nicht ganz so rosarot vielleicht, aber anders schön. Und aus der elektrisierenden Vorfreude ist Nostalgie geworden. Dabei war die Vorfreude damals noch ein zentraler Motor: Die Aussicht auf Geburtstagsfeste oder die heimelige Vorweihnachtszeit, später dann vor allem auf das nächste Wochenende (das Mantra I have Friday on my mind zog sich durch die gesamte Woche) oder der Schul- und Studienabschluss, dem man in freudiger Erwartung auf das „Danach“ entgegenfieberte.

Statt der rosigen Zukunft entgegen zu eifern, übe ich mich jetzt vermehrt in Nostalgie und hänge Lebenswegen nach, die ich nicht gegangen bin. Ist das ein Alterseffekt, der am Ende des jungen Erwachsenenalters dazu führt, verpassten Gelegenheiten nachzuhängen? Oder bin ich Teil einer Generation Vintage, die sich in Reaktion auf die unendlichen Möglichkeiten der heutigen Zeit an die vorgeblich einfachere, sicherere, bessere Vergangenheit zurückbesinnt? Zumindest ist die Nostalgie, das mental time traveling, eine Eigenart des Menschen, die früher noch als pathologisch abgetan wurde, heutzutage aber deutlich wohlwollender bewertet wird.

Die Nostalgie leitet sich aus dem griechischen nostos (Rückkehr) und algos (Schmerz) ab, dem Heimweh. Später wurde sie als Krankheit, die mit Traurigkeit, unregelmäßigem Herzschlag und Appetitlosigkeit einherging, und als psychische Störung angesehen, die dazu Angst und Schlaflosigkeit beinhaltet. Vertreter psychodynamischer Ansätze interpretierten sie wiederum als unterdrückte Zwangserkrankung, einem unbewussten Bedürfnis nach Rückkehr zu einem früheren Lebensabschnitt oder eine Form der Depression. Heute wissen wir: Nostalgie entsteht zwar häufig in Reaktion auf Niedergeschlagenheit oder Einsamkeit, mindert beides aber, indem sie ein positives Selbstbild und soziale Verbundenheit vermittelt.

Der sentimentale Blick in die Vergangenheit ist also bittersüß, wobei die positiven gegenüber den negativen Emotionen überwiegen. Zum Glück, schließlich erleben mehr als 80 Prozent der Menschen wöchentlich Nostalgie. Ausschlaggebend ist in diesem Zusammenhang die sogenannte identity continuity: Fühlen wir eine enge Verbindung zu der Person, die wir damals waren, dann erleichtert uns die Nostalgie den Umgang mit neuen Herausforderungen. Haben wir dagegen das Gefühl, dass wir momentan weit weniger Möglichkeiten haben als die Person, die wir damals waren, dann ist die Nostalgie eine schmerzliche Erinnerung an das unwiederbringlich Verlorene.

Mit diesem Wissen lässt sich die Nostalgie als Motor nutzen statt dabei in Melancholie zu verfallen: Am letzten Wochenende backte ich mit meinen Kindern Herbstplätzchen: In nostalgischer Erinnerung an meine eigene Kindheit und in vorfreudiger Aussicht auf das nächste Weihnachtsfest. Und meinen Kindheitstraum erfülle ich mir zumindest insofern, als dass ich jetzt meinen Motorradführerschein mache, um spätestens im nächsten Frühling mit einer roten Vespa durch Berlin zu düsen. Die Vorfreude ist entzückt und wer weiß, vielleicht verschlägt es mich ja doch noch irgendwann in die italienischen Weinberge.

Zum Weiterlesen

  • Cheung, W.-Y., Wildschut, T., Sedikides, C., Hepper, E. G., Arndt, J., & Vingerhoets, A. J. J. M. (2013). Back to the future: Nostalgia increases optimism. Personality and Social Psychology Bulletin, 39, 1484-1496.
  • Iyer, A., & Jetten, J. (2011). What’s left behind: Identity continuity moderates the effect of nostalgia on well-being and life choices. Journal of Personality and Social Psychology, 101, 94-108.
  • Sedikides, C., Wildschut, T., Arndt, J., & Routledge, C. (2008). Nostalgia: Past, present, and future. Current Directions in Psychological Science, 17, 304-307.

Dieser Text wurde zuerst im Psychologie Heute-Blog veröffentlicht. Er ist Teil der Reihe “Der psychologische Blick”, in der zwischen Juli 2014 und Dezember 2017 vier bis sechs Kolumnist:innen - und ich war eine davon - über aktuelle Themen aus Alltag, Gesellschaft und Wissenschaft schrieben.