Online-Dating floriert, selbst unter jungen, attraktiven und geselligen Partnersuchenden in Berlin, der Hauptstadt der Singles. Man fragt sich: Was bietet das Online-Dating, das Offline-Dating nicht bieten kann? Nicht viel, so scheint es, zumindest aber erfüllt es das Bedürfnis, bei der Partnerwahl unterstützt zu werden. Dabei sprechen einige Gründe dafür, sich – wenn überhaupt – dann doch besser von den Freunden verkuppeln zu lassen.


Meine Freundin Simone ist eine der zahlreichen Berliner Singles und begeisterte Online-Daterin. Mir ist das schleierhaft, weil sie viel unter Leuten ist, in der Single-Hauptstadt also zwangsläufig häufig auf Singles trifft und dabei immer wieder interessierte Blicke auf sich zieht. Wieso dann also noch Online-Dating? Simone dagegen fühlt sich bestätigt vom geheimen Matching-Algorithmus, schließlich werden ihr online immer mal wieder Männer vorgeschlagen, die ihr schon offline aufgefallen sind. Oder andersherum, denen sie schon offline aufgefallen ist. Wie kürzlich bei Stefan.

Vor einigen Wochen nahmen wir gemeinsam am Marsch der Entschlossenen teil, der jüngsten Aktion des Zentrums für politische Schönheit, das auf die aktuelle Flüchtlingsproblematik aufmerksam machte. Wie sich später herausstellte, war Stefan auch da, dessen Blicke Simone auf sich zog und der in ihr eine OkCupid-Nutzerin wiedererkannte. So war die Kontaktaufnahme im Nachhinein einfach, das erste Treffen bald arrangiert und beide flugs auf dem Weg zur Wolke sieben. Und Simone fühlt sich mal wieder bestätigt über die wunderbaren Überraschungen, die dieses Dating-Portal mit sich bringt.

Dabei spricht dieses Erlebnis vielmehr gegen das Online-Dating. Denn der Grund, warum Stefan zwar Simones OkCupid-Profil kannte, sie aber nicht bereits vor dem Marsch kontaktierte, war die mangelnde Übereinstimmung ihrer vom Portal berechneten Passung. Das Online-Dating wirkte, zumindest anfangs, also als Verkupplungs-Verhinderer. Ganz stimmt das natürlich nicht, da die Kontaktaufnahme schlussendlich über das Online-Portal verlief. Ein bisschen Mut, den anderen in persona anzusprechen, wäre ohne Online-Hilfe also notwendig gewesen. Und auf einem Trauermarsch mag das unpassend erscheinen, schließlich flirtet man auch nicht auf einer Beerdigung.

Warum aber melden sich so viele Singles bei Online-Dating-Portalen an, wenn man sich, wie im Fall von Simone, wahrscheinlich ohnehin irgendwann offline über den Weg laufen wird? Schließlich bietet die Offline-Welt eine hervorragende Möglichkeit der Vorselektion. Schließt sich jemand dem friedlichen, aber entschlossenen zivilen Ungehorsam an, wie Simone und Stefan, dann ist das schon mal eine vielversprechende Gemeinsamkeit, auf der sich aufbauen lässt. Ähnliches dachte sich vermutlich auch der Teilnehmer meines Lieblingsfestivals, dem Immergut, der deshalb vor Ort auf Analog-Tinder setzte. Kann das Online-Dating darüber hinaus wertvolle Zusatzinformation bieten?

Zumindest erfüllt es das Bedürfnis, bei der Partnerwahl unterstützt zu werden. Wenn man schon selbst nicht weiß, mit wem man glücklich wird, vielleicht weiß es dann ein Matching-Algorithmus. Oder die Mutter. Wie im Fall des Romanhelden Mordechai Wolkenbruch, einem jungen, orthodoxen Juden, dessen Mutter ihn durch eine tour de schidech schickt, zu einer überambitionierte Heiratsvermittlerin, die ihn jedoch aufgrund der Flut unpassender Partnerinnenvorschläge zur Verzweiflung bringt. Fehlt die überambitionierte Mutter, dann kann ein Verkupplungs-Coach weiterhelfen, zum Beispiel Amy Andersen, die verspricht, nerdige Singles im Silicon Valley unter die Haube zu bringen.

Wenn schon verkuppelt werden, dann doch lieber von Freunden in der Offline-Welt. Als wir kürzlich zum Beispiel den 40. Geburtstag von Ben, einem guten Freund, feierten, wurde jeder Gast um einen Sampler mit den persönlichen Hits der letzten 40 Jahre gebeten. Ein hervorragender Blick in die Psyche der Eingeladenen. Als die Sonne bereits hinter dem Fernsehturm aufging, kam deshalb die Idee auf, die Sampler-Übereinstimmung als Matching-Algorithmus zu nutzen. Sicherlich eine vielversprechende Informationsquelle, hätten wir uns bis dahin nicht sowieso alle schon so gut kennengelernt.

Oder man lässt sich beim Running Dinner, das ein Freund ab und an organisiert, verkuppeln. Mitmachen dürfen dort ausschließlich Freunde des Organisationsteams, die dann mit viel Mühe und Hingabe Pärchen bilden. Die Idee: Vorspeise, Hauptgang und Dessert werden von unterschiedlichen Pärchen kreiert, die dafür jeweils zwei andere Paare in die Wohnung einer kochenden Pärchen-Hälfte einladen. Es wird also viel gegessen und die Kalorien anschließend bei hastigen Wohnungswechseln wieder abgerannt. Vor allem aber bietet sich die Gelegenheit, ausgiebig den Kochpartner kennenzulernen, den zumindest die Freunde für eine gute Partie halten.

Zum Weiterlesen

  • Meyer, T. (2012). Wolkenbruchs wunderliche Reise in die Arme einer Schickse. Zürich: Salis Verlag.
  • Rudder, C. (2014). Dataclysm: Who we are when we think no one’s looking. London: Fourth Estate.

Dieser Text wurde zuerst im Psychologie Heute-Blog veröffentlicht. Er ist Teil der Reihe “Der psychologische Blick”, in der zwischen Juli 2014 und Dezember 2017 vier bis sechs Kolumnist:innen - und ich war eine davon - über aktuelle Themen aus Alltag, Gesellschaft und Wissenschaft schrieben.