über bedingungslosigkeit.
aus dem psychologie heute-blog 'der psychologische blick'.
Bedingungslos zu geben wird oftmals als problematisch empfunden. Bedingungslos zu nehmen scheint jedoch ebenso diffizil. Und wo gibt es sie überhaupt noch, die reine Bedingungslosigkeit, wo das Geben und Nehmen nicht kontinuierlich abgewogen wird? Selbst in der Liebe und beim Recht auf Leben und Unversehrtheit scheint sie nicht immer zu gelten, dabei sind Menschen doch die champions of cooperation.
Bedingungslos zu geben wird oftmals als problematisch empfunden. Bedingungslos zu nehmen scheint jedoch ebenso diffizil. Das berichtet zumindest Daniel Häni, ein Verfechter des bedingungslosen Grundeinkommens. Beim Salon Sophie Charlotte erzählte er kürzlich, wie er einem guten Freund Geld gab, ohne Gegenleistung, einfach so, bedingungslos. Vielleicht wollte er mal vortesten, wie das eigentlich wäre mit einem bedingungslosen Grundeinkommen. Der Freund, obwohl ein enger, sträubt sich. Auch der nächste hadert, nimmt es dann an, um es seinen Kindern zu geben, lässt es schlussendlich aber doch zurück. Die beiden Freunde, sie tun sich ganz offensichtlich schwer mit der Bedingungslosigkeit.
Menschen unterscheiden sich anscheinend darin, wie gut sie mit Bedingungslosigkeit umgehen können. Tim, der mit mir den Anekdoten Daniel Hänis lauscht, raunt mir zumindest zu: ‚Mir fällt das leicht, ich kann ganz wunderbar bedingungslos annehmen.‘ Er schmunzelt dazu. ‚Und ich?‘, frage ich mich. Mir fallen spontan gute Beispiele dafür und ebenso gute Beispiele dagegen ein. Aber vielleicht liegt es auch gar nicht an der einzelnen Person, sondern vielmehr an der Beziehung zwischen Gebendem und Nehmenden?
Bedingungslosigkeit fällt dann schwer, wenn sie gegen Regeln verstößt, die mehr oder weniger implizit die Beziehung der Beteiligten strukturieren. Unter Peers ist, laut Alan Fiske, das sogenannte ‚Equality Matching‘ verbreitet: Es wird so viel gegeben wie genommen. Kommt es zum Ungleichgewicht zwischen beidem, fühlt sich der Nehmende zu einer Gegenleistung verpflichtet. Bis das Ungleichgewicht ausgeglichen ist, bleibt ein ungutes Gefühl bestehen, eben jenes, das Häni bei seinen Freunden beobachtete. Aus dieser Perspektive betrachtet ist es also keineswegs verwunderlich, dass Freunde dazu neigen, ein Ungleichgewicht zu vermeiden.
Welche Beziehungen ertragen ein Ungleichgewicht?
Ein Ungleichgewicht ist dagegen, so schreibt es Fiske, beim ‚Authority Ranking‘ akzeptiert. Da gibt der Statushöhere, zum Beispiel ein Elternteil, dem Statusniedrigeren, in diesem Fall seinem Kind, mehr als er von ihm bekommt. Von Bedingungslosigkeit kann jedoch auch hier keine Rede sein, schließlich werden Macht und Privilegien auf der einen Seite gegen Schutz und Fürsorge auf der anderen Seite getauscht.
Aber wo gibt es sie noch, die reine Bedingungslosigkeit, die Fiske ‚Communal Sharing‘ nennt? Selbst für die Liebe und das Leben scheint sie nicht immer zu gelten. Zieht in einer Liebesbeziehung das Gefühl eines andauernden Ungleichgewichts ein, sieht man sich mit dem Risiko einer Trennung konfrontiert. Späte Schwangerschaftsabbrüche als Reaktion auf eine schwere Erkrankung des Nachwuchses sind längst keine Seltenheit mehr. Unlängst erhielten Diskussionen über den Höchstpreis lebensverlängernder Medikamenteneuen Aufwind. Und auch Schutz für Menschen, die vor lebensbedrohlichen Zuständen fliehen, wird vielerorts an Bedingungen geknüpft.
Bedingungslose Liebe, bedingungsloses Recht auf Leben und Unversehrtheit gibt es für manche, nicht für alle. Für Fiske mag das nachvollziehbar sein, unsere Beziehungen zueinander beruhen schließlich nicht alle auf einem ‚Communal Sharing‘. Und ganz sicher sollte man über potenziell notwendige, wichtige oder gesellschaftlich akzeptierte Bedingungen diskutieren. Vielleicht kommen wir bei diesen Diskussionen zu dem Schluss, dass ein bedingungsloses Grundeinkommen zu sozial oder, im Gegenteil, zu unsozial ist. Unabhängig davon erscheint es mir jedoch wünschenswert, uns mehr in Bedingungslosigkeit zu üben, beim Geben wie auch beim Nehmen, schließlich sind Menschen doch die ‚champions of cooperation‘.
Zum Weiterlesen
- Fiske, A. P. (1992). The four elementary forms of sociality: Framework for a unified theory of social relations. Psychological Review, 99, 689-723.
- Nowak, M. A. (2006). Five rules for the evolution of cooperation. Science, 314, 1560-1563.
Dieser Text wurde zuerst im Psychologie Heute-Blog veröffentlicht. Er ist Teil der Reihe “Der psychologische Blick”, in der zwischen Juli 2014 und Dezember 2017 vier bis sechs Kolumnist:innen - und ich war eine davon - über aktuelle Themen aus Alltag, Gesellschaft und Wissenschaft schrieben.